Vom Bahnmanager zum Freund der Freiheitlichen. Die jüngere Vergangenheit des Christian Kern.
Der 1. Mai 2016 stellte eine Zäsur für die österreichische Sozialdemokratie dar. Gellenden Pfeifkonzerten gegen den damaligen Bundeskanzler Werner Faymann, organisiert von einem SPÖ-internen „#Team Haltung“, standen GenossInnen mit den trotzig anmutenden Taferln „Werner, der Kurs stimmt“ gegenüber. Beide Gruppen zählten wohl etwa je 100 Leute. Dazwischen standen Tausende, denen die Ratlosigkeit ins Gesicht geschrieben stand, ganz so, als hätten sie eine Vorahnung, dass dies der letzte 1. Mai mächtiger Politfolklore sein könnte.
Der Übergang von Faymann zu Kern
Faymann war vor allem darüber gestolpert, dass er den von der ÖVP diktierten Kurs der Orbánisierung höchst unbeholfen nachvollzogen hatte. Sein Sager „Türl mit Seitenteilen“ als Metapher für den Grenzzaun in Spielfeld drückte die Hilflosigkeit (bei gleichzeitigem Zynismus) am besten aus.
Am 9. Mai 2016 war Faymann bereits Geschichte, gestürzt von Linken in der Partei und mit Absegnung der Landesparteivorsitzenden. Ganz offen wurde präsentiert, und erstaunlicherweise von niemand als Problem eingeschätzt, dass Christian Kern und Gerhard Zeiler in ihrer Manager-Männerfreundschaft schon über ein Jahr gemeinsam darüber nachgedacht hatten, wann der Zeitpunkt günstig sei, Faymann zu beerben.
Am 17. Mai trat Kern dann gemeinsam mit Michael Häupl vor die Presse und begeisterte nicht nur SozialdemokratInnen mit einem intelligenten, charmanten Auftritt voller Tatendrang und Selbstkritik (an der SPÖ). Er versprühte Aufbruchstimmung und konnte damit viele für sich einnehmen.
Sein neues Kabinett soll in alle Richtungen ausstrahlen: Hans Peter Doskozil bleibt Verteidigungsminister und zugleich Abschiebe-Experte für die SPÖ-Rechten und die FPÖ; die Technokratin Sonja Hammerschmied übernimmt die Bildung; und Muna Duzda – eine Kandidatin, auf die viele Linke noch etwas Hoffnung setzten – darf sich im Kanzleramt um Digitalisierung kümmern. Kerns Vorhaben, kluge GewerkschaftskommunikatorInnen in die Parteizentrale einzubinden, scheiterte an deren Ablehnung.
Kern stellt sich gern als politisch unbelastet dar. Dabei war er schon als Student Chefredakteur der VSSTÖ-Zeitung Rotpress, 1991 im Büro von Staatssekretär Kostelka unter Bundeskanzler Vranitzky tätig, 1994–97 Pressesprecher des SPÖ-Parlamentsclubs, um dann, wohl nicht völlig unabhängig von seiner Parteikarriere, Manager bei der Verbund AG um dann in der Folge 2010 ÖBB-Chef zu werden. Nichts davon ist ehrenrührig, eine völlig normale sozialdemokratische Karriere. Dass er immer wieder betont, „aus der Wirtschaft“ zu kommen, ist wohl einerseits die Hoffnung, nicht für die letzten 20 Jahre verantwortlich gemacht zu werden, andererseits ein Versuch, die Menschen auf andere, autoritärere Strukturen vorzubereiten. Seine Antritts-Pressekonferenz bei der ÖBB 2010 und die jetzige als Kanzler (beide sind auf YouTube zu sehen) ähneln sich übrigens gespenstisch in vielen Phrasen.
Kerns Agenda
Die politische Agenda Kerns kann die „SPÖ-Team-Anständigen“ nicht zufriedenstellen, trotzdem schweigen sie weitgehend zu der verschärften Abschiebepolitik, zur Deregulierung in der Wirtschaftspolitik und zur unverhohlenen Annäherung an die FPÖ.
Im völligen Einklang mit der ÖVP spricht Kern von „schmerzlichen, aber notwendigen“ Abschiebungen nach Kroatien, die Fremdenrechtspolitik unter Kern ist sowohl gesetzlich als auch vom Vollzug her die menschenverachtendste der zweiten Republik. Wirtschaftspolitisch suggeriert er, dass er Start-Ups fördern und Social-Business Arbeitsplätze schaffen würde. Anstatt staatlicherseits etwa eine dringend nötige Wohnbauoffensive für leistbares Wohnen zu initiieren oder tausende LehrerInnen, PflegerInnen, SozialarbeiterInnen einzustellen, überlässt er es dem deregulierten Zufall, ob Projekte erfolgreich sind. Nur: Die ambitioniertesten Craftbeer-ProduzentInnen, die intelligentesten Yogalehrenden und die genialste Shopping-App werden wenig zur Verringerung der Schere zwischen Reichtum und Armut beitragen.
Die wichtigste Agenda für Kern scheint aber die schleichende Annäherung an die FPÖ zu sein. Er macht das mit einer beängstigenden Präzision, erklärt immer wieder politische Differenzen zur FPÖ, um im Vor- oder Nachsatz die Normalität der FPÖ zu betonen. Bis Mai 2017 will sich die SPÖ Zeit lassen, um einen „Kriterienkatalog“ für die Zusammenarbeit mit anderen Parteien auszuhandeln. Zu dem Zeitpunkt werden Strache, Hofer, Haimbuchner und Konsorten bereits von Kern vollständig rehabilitiert sein.
Beispielsweise hat Kern am 26. Oktober bei der Angelobung neuer RekrutInnen am Heldenplatz wörtlich formuliert: „In Österreich sind Patrioten die, die ihr Land gemeinsam vorwärts bringen.“ Ein gesalbter Satz, dem man als Bundeskanzler nicht aus dem Weg gehen kann, wenn man am Nationalfeiertag eine Rede hält, könnte man meinen. Am 23. November zeigte er sich dann überraschend amikal mit HC Strache im Radiokulturhaus bei der Ö1-Sendung „Klartext“, wo er bereits in der Einleitung mit dem Satz aufhorchen ließ: „Ich respektiere, dass es Herrn Strache auch darum geht, das Land voran zu bringen.“
Vorwärts Richtung Ende
Und noch ein Aspekt, der in der Sendung auffiel, zieht sich durch Kerns Politprogramm: sein (latenter) Sexismus. Strache setzte in „Klartext“ einen seiner üblichen Angriffe gegen Stadträtin Wehsely. Kern ignorierte das einfach und den Zuhörenden wurde schnell klar, dass für Kern Frauen wie Wehsely keine Rolle spielen. Keine strategische Position in Kerns Regierungs- und Parteiteam ist mit einer Frau besetzt. Die protokollarisch am höchsten agierende, Doris Bures, selbst noch aus der Generation Gusenbauer, ist strategisch abgemeldet. Kerns innerer Kreis ist ein sozialdemokratischer Männerbund, das macht ihm den Schwenk zur FPÖ leichter.
An Christian Kern ist nicht zu kritisieren, dass er Manager war, gute Anzüge trägt und Uhren sammelt. Seine persönliche Lockerheit mag für manche vielleicht sogar eine erfrischende Qualität sein. Seinen „Vorwärts“-Rufen ohne Richtungsangaben werden seine GenossInnen auch noch eine Weile folgen. Aber dann könnte leicht passieren, wovor er selbst beim Auftakt gewarnt hat: „Wenn wir jetzt nicht kapiert haben, dass das unsere letzte Chance ist, dann werden die beiden Großparteien und diese Regierung von der Bildfläche verschwinden. Und wahrscheinlich völlig zurecht.“
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online seit 19.12.2016 17:31:37 (Printausgabe 77)
autorIn und feedback : Kurto Wendt